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Eva Gratl im Gespräch mit Anne Brannys

EG: Sie haben sich auf einen Dialog zur Ausstellung LICHTPAUSEN eingelassen. Wie sind sie an diese Arbeit herangegangen? 

AB: Ich habe mich zunächst mit der Kuratorin der Ausstellung Ursula Schnitzer länger unterhalten, die mich in das Werk und auch die Lebenswege und -umstände von Gina Klaber Thusek eingeführt hat. Darauf folgte ein Ateliergespräch mit Elisabeth Hölzl, in dem es um ihre Arbeit, aber auch um das Ausstellungs- und das Publikationskonzept ging.

Sowohl Ausstellung als auch Publikation stellen in meine Augen eine sehr feinfühlige und tastende, künstlerische Annäherung an das Leben und Werk der bereits verstorbenen Künstlerin Gina Klaber Thusek dar. Diese geschieht zum einen auf der Grundlage einer frühen Begegnung beider Künstlerinnen, zum anderen durch die Spurensuche von Elisabeth Hölzl und Ursula Schnitzer im Nachlass von Klaber Thusek. Die Kontaktaufnahme ist also geprägt vom Wechsel aus Ferne und Nähe, von Verwandtschaft und Fremdheit, auch Befremdung vielleicht und großer Faszination.

Unsere Vorgespräche mussten digital stattfinden aufgrund der räumlichen Distanz und der zeitlichen Anforderungen, was ja sehr schade ist und nie die reale Begegnung ersetzen kann. Dennoch hat es sofort ‚gefunkt‘ bei mir, sowohl, was die Werkkomplexe beider Künstlerinnen betrifft als auch der Eindruck, den ihre Persönlichkeiten bei mir hinterlassen haben. Und diese – nicht planbare und spontane – Zuneigung zum gesamten Projekt passt in meinen Augen sehr gut zu diesem projektinhärenten Wechselspiel zwischen Distanz und Betroffenheit. 

Bereits in diesen Gesprächen haben sich erste Themenkomplexe aufgetan, erste Ideen für die fragmentarischen Texte in mir entwickelt. Diese habe ich dann in intensiverer Recherche im Materialfundus, der mir zur Verfügung stand, weiter verfolgt. 

 

EG: „Diary“  geht auf die Tagebücher der Künstlerin Gina Klaber Thusek zurück, die Künstlerin Elisabeth Hölzl hat im Buch ihrerseits Fragmente in Bezug zueinander gesetzt. Nun kommen sie als „3. Stimme“ dazu:  Welchen Weg sollte hier der Leser/die Leserin gehen? 

AB: Der vielleicht schwierigste Moment innerhalb dieser für mich sehr bereichernden Erfahrung, einen Beitrag zu dieser Publikation zu leisten, bestand für mich darin, neben den bereits existierenden, starken Frauenstimmen einen eigenen Ton, eine eigene Stimme zu finden. Auch mit der fundierten wissenschaftlichen Auseinandersetzung von Ursula Schnitzer mit den Werken der Künstlerinnen konnte und wollte ich mit meiner Arbeit für die Publikation nicht konkurrieren, wohl aber etwas Eigenes beitragen. Ich habe mich dafür entschieden, Motive, die in einzelnen, oft auch beiden, Arbeiten der Künstlerinnen auftauchen, als Phänomene genauer zu betrachten und damit vielleicht Gedankenanstöße, vielleicht auch Herzanstöße für die Leser*innen zu geben, die als Bereicherung neben den Worten und Werken der Hauptbeitragenden im Buch stehen. Mein Wunsch für die Leser*innen ist es, dass diese ebenso fasziniert wie ich in den Dialog von Elisabeth Hölzl und Gina Klaber Thusek eintreten und mit mir oder ohne mich berührt sind durch ihre Stimmen. Ich verstehe meine Texte als Einladung, sich gemeinsam den Ausdruckswelten der Künstlerinnen zuzuwenden.  

 

EG: Der Titel der Ausstellung ist „Lichtpausen.lückenhaft“. Auch im Tagebuch gibt es Lücken, weiße Blätter. Ist ein nochmaliger Dialog von unserer Seite nicht eventuell auch störend? 

AB: Weiße Seiten sind eine wunderbar ambivalente Sache. Sie schenken uns Freiraum und sie machen uns Angst. Immer fordern sie etwas von uns. Ich würde also nicht sagen, dass eine weitere Stimme im Multilog des Buches störend wäre, kann aber verstehen, wenn die Leser*innen vor der Aufforderung, sich in das Buch einzuschreiben, zurückschrecken. Ein Buch fordert Aufmerksamkeit, Auseinandersetzung mit einer bestimmten Großzügigkeit ein, es klagt nicht, wenn wir es zur Seite legen. Diese weißen Seiten hier hingegen kitzeln uns aus der Passivität des Konsumierens heraus. Das ist schon eine Provokation, aber auch ein besonderes Geschenk: das Buch zu etwas ganz Eigenem zu machen, zu einem Begleiter auf den individuellen Wegen. 

Gina Klaber Thusek führte ihr gesamtes langes Leben lang Tagebuch, sie ist nie vor den weißen Seiten zurückgeschreckt. Ungefiltert, gerade heraus, nicht immer elaboriert, aber warum auch? hat sie sie sich das weiße Blatt zum Freund gemacht. In manchen Tagen zum einzigen. Die weißen Seiten im Büchlein sind auch eine liebevolle Reminiszenz an diese Freundschaft. Ein Geschenk der jüngeren Künstlerin an die ältere, das sagt: Ich habe dich gesehen. Bei genauer Betrachtung erzählen sie vielleicht genauso viel über die Künstlerinnen wie die Bild-, die Wortseiten. 

 

EG: Sie haben Themen der Künstlerinnen in einem Glossar verdichtet. Was kann die Sprache, vermag sie, angesichts der Bilder?

AB: Ich verstehe Sprache, ebenso wie Bilder, als Mittler zwischen verschiedenen Wahrnehmungswelten und damit als Einladung miteinander in einen Austausch zu geraten. Dass dieser Austausch auch über weite Entfernungen, sogar über die Lebenszeit von Menschen und Dingen passieren kann, zeigt das Projekt „Lichtpausen, lückenhaft“ sehr eindringlich. Ich wünsche mir, dass die sprachlichen Wendungen, die ich versucht habe zu finden, Fäden werfen, die mit den Bildern, den Worten der Künstlerinnen aber auch mit den Gedanken und Worten der Leser*innen zu einem Gewebe sich verdichten können, das so einzig ist, wie jede Hand, die das Büchlein hält.

 

EG: Wo sehen sie in ihrer Arbeit  und jener der beiden Künstlerinnen besondere Affinitäten? 

AB: Spontan fällt mir der Begriff Sinnlichkeit ein und ich meine damit, sich der Welt mit allen Sinnen auszusetzen und auch mit allen Sinnen und manchmal wie von Sinnen zu arbeiten. Auch das Leben dabei nicht aus den Augen zu verlieren und eine unbedingte Überschneidung von Leben und Arbeit auch in intime Sphären hinein damit zu erreichen und aushalten zu müssen. Damit geht auch eine gewisse Ruhelosigkeit einher, immer an etwas dran zu sein, immer wach zu bleiben. Damit geht ein großer Lebenshunger einher, der sich ins Werk einschreibt. Damit geht die Bereitschaft einher, berührt zu werden und das Streben, diese Berührung in etwas zu übersetzen, das andere zu berühren vermag. 

Eine Affinität, die die Künstlerinnen und mich sehr sicher eint und die damit unbedingt zu tun hat, ist das Suchende, das die Arbeit prägt. Gina Klaber Thusek zeigt dies durch die Vermeidung von Festlegungen, durch eine gewisse Sprunghaftigkeit und damit auch eine große Varianz im Gesamtwerk. Elisabeth Hölzl spürt mit ihrer Kamera alten Geistern nach, den Spuren einstiger Anwesenheit von Dingen, Menschen, von Emotionen. Auch meine Art zu schreiben hat etwas Suchendes, Kreisendes. 

Dass diese Suche auch das Scheitern in sich aufzunehmen vermag, weil sie es muss, weil sie viel will, weil sie das tief Menschliche zu fassen versucht, das macht sie auf eine bestimmte Art bittersüß. Diese Melancholie tritt im Werk von Elisabeth Hölzl und auch in meinen Texten vielleicht etwas stärker zum Ausdruck als in den Arbeiten von Gina Klaber Thusek, aber ich finde sie immanent im Denken und Handeln beider Künstlerinnen und auch bei mir selbst. 

 

EG: Sie haben eine „Enzyklopädie des Zarten“ herausgegen. Ist dieses Zarte, Flüchtige auch in ihrem „Dialog“ präsent? Wie würden sie diese Texte bezeichnen? Der Begriff Glossar reduziert ja auf Erläuterungen, aber ihre Texte sind ja sehr poetisch.

AB: Ohne weiteres kann ich die Frage nach der Präsenz des Zarten in meinem Dialog mit den Künstlerinnen bejahen. Ich habe mich dafür entschieden, vermeintliche Kleinigkeiten genauer zu betrachten und durch sie Themen zu greifen, die sich einer Feststellung entziehen. So habe ich z. B. das seltsame Wort „Missgeschick“ auf seine etymologischen Wurzeln hin angesehen, um zu fassen, wie es in Gina Klaber Thuseks Tagebuch auftauchen kann, wenn sie über ihre folgenschwere Entscheidung schreibt, England in den 1930er Jahren zu verlassen, um zu ihrem Ehemann zu fahren, den sie nicht einmal liebt. Diese Entscheidung führt für sie als Jüdin zum Verlust ihres Passes und zu ihrer Festsetzung in Meran zu einer Zeit, als sich in London gerade eine Karriere als Modedesignerin abzeichnet. Ich würde an dieser Stelle selbst nicht das Wort Missgeschick verwenden, es erscheint mir zu klein, zu leicht.  Das Zarte, und das habe ich in meiner Enzyklopädie versucht zu zeigen, hat oft einen doppelten Boden. Es kann durchaus auch schwer wiegen, gewaltsam sein oder auch einen tiefen, einen bleibenden Eindruck hinterlassen, auch wenn es auf den ersten Blick zu schwach dafür zu sein scheint.

Das Flüchtige, Fragile, Flexible und die Ordnungssysteme sind schon immer zwei Komplexe, die meine Arbeit bestimmen, wobei ich sie nicht als Gegensätze betrachte, sondern als sich gegenseitig bedingend. 

Meine Texte in der Publikation „Lichtpausen, lückenhaft“ als Glossar zu bezeichnen hat auch einen humorvollen Anteil, es wird nicht einmal der Versuch unternommen, eine ernst gemeinte Begriffsklärung, einen allumfassenden Index an möglichen Bedeutungen zu erstellen. Ich verstehe das Glossar hier eher in seiner ganz ursprünglichen Bedeutung, als zwischen die Zeilen, als an den Rand geschriebenen Kommentar, der noch eine weitere Sicht auf den Haupttext ermöglicht. Das Glossar beschäftigt mich gerade sehr, auch weil es etymologisch zur „Zunge“, zum Sprechen, zur Stimme zurückführt und so ein interessantes Format für vielstimmige Projekte zu sein scheint, in denen ich gerade häufig arbeite. Ein weiterer Begriff meiner gegenwärtigen Praxis ist das „Schweben“ und ich denke, in dieser Publikation kommen beide zusammen, es ist ein kleines, schwebendes Glossar geworden.