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Mit unbeirrbarem Sinn für bedeutende Momente

Walter Haller (1939 -2020) zum Gedenken

Vor rund einem Jahr saß Walter Haller viele Tage zu Hause an seinem Computer und an seinem Scanner. Kunst Meran hatte ihn zur Mitarbeit am Buchprojekt Kultur in Bewegung: Meran 1965–1990 eingeladen. Niemand hatte zur Bebilderung dieser 25 Jahre derart viele Fotos wie Walter. Zwischen Mailand und München, neben unzähligen lokalen Veranstaltungen, hat Walter Haller mit unbeirrbarem Sinn für bedeutende Momente mit seiner Kamera im Publikum gestanden.

Er hat keine Mühen gescheut, um dort zu sein, wo Ausstellungen eröffnet wurden, Performances stattfanden, Konzerte gespielt oder Filme gedreht wurden. Über viele Jahre war bei ihm zu Hause in Algund ein umfangreiches Archiv entstanden. Papierabzüge und Negative reihten sich dort neben Datenträger, Scanner, Computer und eine umfangreiche Fotoausrüstung.

Im Alter von 80 Jahren, von denen er fast 40 Jahre lang als unermüdlicher Kultur-Chronist aktiv war, konnte er erwartungsgemäß aus dem Vollen schöpfen.

Bald übergab Walter Haller uns einen Stick mit zahlreichen Ordnern voller Fotos: vom Künstlerkollektiv Netzkunst über Daniel Spoerris legendäre Suppenaktion auf der Brunnenburg oder Hermann Nitschs Orgien Mysterien Theater in der Meraner Altstadt bis hin zur Piano Destruction von Raphael Montañez Ortiz in Vellau, um nur einige zu nennen.

Nur einmal erlaubte er sich eine kleine Eitelkeit und bat, ein Foto, für das er die Kamera kurz jemandem anderen überlassen hatte, in das Buch aufzunehmen. Es ist die einzige Aufnahme, auf der Walter Haller selbst zu sehen ist. Das Schicksal so vieler Fotografen! Mit Einsatz und Begeisterung hatte er sich im Sommer 1986 an der Aktion des US-amerikamischen Künstlers Raphael Montañez Ortiz, der auf Einladung des Kleinen Kunstpalastes in Meran zu Gast war, beteiligt. Die Fotoserie, die an diesem Tag im August entstanden war, ist farbig, einnehmend, kraftvoll und hat im Buch entsprechend Raum bekommen.

Neben der Passion für die Fotografie als Medium seiner Wahl zur Dokumentation, verspürte der Fotograf wohl zunehmend das Bedürfnis nach künstlerischer Eigenständigkeit. So tauchen in seinen Fotos bereits in den 1980er-Jahren vereinzelt Doppelbelichtungen auf. Die Mehrfachbelichtung entsteht in der Analogfotografie indem ein Bild auf das vorherige belichtet bzw. der Film nicht weiter transportiert wird. Auch in der Digitalfotografie später, kommt diese Technik weiter zur Anwendung. Künstlerisch birgt die Mehrfachbelichtung die Möglichkeit, mehrere Realitätsebenen in einem Bild festzuhalten und inhaltliche Bezüge herzustellen. Werke von Künstlern und Künstlerporträts, Bühne und Schauspieler oder Dirigent und Orchester können im Foto zueinander, ja sogar übereinander gebracht werden. Fast hat es den Anschein, dass Walter Haller in dieser speziellen Technik einen Weg erkannte, all seine Passion für Kultur festzuhalten und zu verdichten. Mit den Fotografien in Mehrfachbelichtung hat er seine persönliche Bildsprache gefunden. Einen Teil der Fotos, entstanden während 25 Jahren Meraner Musikwochen, hat Walter Haller 2019 während des südtirol festival meran unter dem Ausstellungstitel live, in vielen Schaufenstern in Meran ausgestellt.

Am vergangenen Montag, dem 30. November, exakt an dem Tag, als das Buch Kultur in Bewegung: Meran 1965-1990 in den Druck gegangen ist, ist Walter Haller in Meran nach schwerer Krankheit verstorben. Sein Datenstick und zahlreiche Mails mit Detailinformationen dazu, liegen hier auf meinem Schreibtisch. Mehr als 20 Fotos aus seinem Archiv, inklusive dem Foto, das ihn selbst bei der unvergessenen Künstleraktion in Vellau zeigt, laufen in diesen Stunden durch die Druckmaschine.
Lieber Walter, du wolltest so gern im Buch blättern und diese schönen Momente Revue passieren lassen. Sei jedoch versichert, viele Kulturinteressierte werden es nun tun können – dank deiner Aufnahmen.
Mit Walter Haller hat Meran einen der engagiertesten Chronisten, großen Kultur- und Kunstliebhaber und Fotokünstler verloren.

Ursula Schnitzer